In einem Onlineformular, mit welchem man sich für eine Projektförderung bewerben kann, wurde gefragt: "Welchen Beitrag kann Ihr Projekt an die Umwelt leisten?"
Ein Musikprojekt soll einen Beitrag zur Umwelt leisten? Wie denn? Musik kann (als Kunst) bestenfalls die Wahrnehmung (präziser: die Hörwahrnehmung) derjenigen ändern, die zuhören. Sie kann das wohl eher kurzfristig - im Moment des Zuhörens und wohl nur im seltenen Fall anhaltend - wenn beim Zuhören während einem Stück das Hören generell verändert wird. Und vielleicht kann sie es auch, indem sich Wahrnehmungen durch häufig wiederholtes Hören eines Stücks ändern. Aber das hat alles nichts mit Umwelt zu tun.
Wenn Musik also keinen direkten oder gar aktiven Beitrag zur Umwelt leisten kann, könnte sie wenigstens über den Umweg einer Hör-Wahrnehmungsänderung, und nur eventuell "dereinst" - also durch die veränderte Hör-Wahrnehmung ein "Umweltbewusstsein" auslösen oder fördern? Naheliegend ist das nicht. Und so gesehen ist die Frage im Online-Tool ein Blödsinn.
Wikepedia: "Das Umweltbewusstsein ist die Einsicht eines Menschen in die Tatsache, dass Menschen die natürliche Umwelt – und damit die Lebensgrundlage der Menschen – durch ihr Tun und Lassen bzw. durch Eingriffe in die Umwelt schädigen oder ihr natürliches Gleichgewicht gefährden." Das würde heissen: Sofort aufhören zu musizieren, wenn man nicht die Umwelt gefährden will.
CareElite: "Laut Lexika setzt sich das Umweltbewusstsein zusammen aus dem Umweltwissen, den Umwelteinstellungen, den Verhaltensintentionen bezüglich der Umwelt und dem tatsächlichen Umweltverhalten eines Menschen."
Es gibt in der klassischen Beschreibung von Musik mit Tonhöhen, Dauern, Lautstärken und Klangfarben keine Verbindung zur Umwelt. Mit Hilfe dieser vier Parameter kann man die Musik "in sich" selbst beschreiben, ihre Struktur, ihren Aufbau. Musikpsychologen denken darüber nach, welche Wirkung musikalische Strukturen auf den Hörer haben, Musikhistoriker über vergangene Wirkungen, Soziologen über musikalische "Moden". Komponisten stellen sich Landschaften zu ihrer Musik vor oder umgekehrt (eine lose etwas romantische Assoziation). Aber auch daraus ergibt sich keine echte Umwelt-Beziehung. Auch Beethovens Pastorale hat nichts aber auch gar nichts mit Umweltbewusstsein zu tun.
Unter "Idee und Ziele" steht bei studio-klangraum "...beziehen wir die „Umgebung“, sei es eine Architektur, sei es die Geografie, oder seien es Menschen ein ..." Es gehört zur Absicht von studio-klangraum, das Umgebungsbewusstsein der HörerInnen zu beeinflussen.
Unter "Umgebungsbewusstsein" finde ich im Internet entweder auf Seiten über Kinderpsychologie, die etwa schreiben: "Inwiefern nimmt ein Kind seine Umwelt wahr? Wie viele Einzelheiten bleiben in seinem Gedächtnis hängen? Alltägliche Dinge, wie Namen, Zeiten und die räumliche Orientierung haben mit dem Umgebungsbewusstsein zu tun." Oder ich lande auf socialmedia-Seiten, die vom Internet sprechen: "Ambient Awareness ist ein Begriff, der von Sozialwissenschaftlern verwendet wird, um eine neue Form des peripheren sozialen Bewusstseins zu beschreiben."
Eine echte Beziehung zwischen Musik und der Umwelt kann nur entstehen, wenn man Musik nicht in einem rein innermusikalischen Sinn (losgelöst von der Umgebung) hört, sondern sie (auch!) in einem akustischen Sinn hört. Denn dann nimmt man sie (auch) als klingendes Phänomen-in-der-Umgebung wahr: Man hört dann nicht nur die Musik, sondern auch die Umgebung.
Dabei geht es allerdings nicht um ein Andershören von bestehender Musik, auch nicht um Aufführungen nichträumlich gedachter Musik in besonderen Umgebungen wie beispielsweise der Aufführung einer Mozart-Sonate am Seeufer. Diese Musik wurde "losgelöst" von der Umgebung komponiert; bestenfalls als "Kammermusik" oder Orchestermusik für eine Saalgrösse vorgesehen. Sie im Nachhinein in ein umweltpolistisches Korsett zu zwingen, tut ihr aber nur Schaden an.
Vielmehr geht um eine "andere Musik", um ein anderes Komponieren, um Musikentwürfe, worin die Musik als ephemere Klangerscheinung-in-einer-Umgebung verstanden wird. Es geht um eine Musik, die als Raummusik entworfen wurden und die deshalb ein Hören-im-Raum nahe legt, die sonst - mit den herkömmlichen Hörgewohnheiten - nicht verstanden werden kann. Eine Musik, die von Anfang an ein anderes Bewusstsein verlangt.
Wenn man eine solche Musik beschreiben oder gar eine Raum-Musiktheorie entwerfen würde, müsste der Raum immer Teil der Beschreibung sein.
Und wenn eine solche Musik aufgeführt würde, müsste offensichtlich sein, dass man sie mit "Raumohren" hören muss. Im herkömmlichen Konzter sind die ZuhörerInnen eine gewisse Art des Hörens gewohnt - klare Signale müssten deutlich machen, dass diese Art des Hörens nun gewissermassen falsch ist; dem Werk auf jeden Fall nur teilweise gerecht werden kann.
Eine Raum-Musik könnte a priori nicht auf einem Tonträger mit dem Anspruch reproduziert werden, sie "wiederzugeben".
Nur ausgehend von einem solchen raum-musikalischen Denken könnte man darüber sprechen, ob es vielleicht so etwas geben kann wie ein musikalisches Umgebungsbewusstsein und darüber ob Musik ein solches beeinflussen kann.
Und ob aus einem solchen Umgebungsbewusstsein später auch einmal ein Umweltbewusstsein entstehen könnte, wäre nochmals eine andere Frage.
Aber es soll hier die umgekehrte Frage erlaubt sein: Können Menschen umweltbewusst sein, ohne dass sie umegebungsbewusst sind? Und: können die umgebungsbewusst sein, ohne dass sie "im Raum" hören?
Immerhin: Die Frage im Onlineformular war anregend; anregend, meine Musik - und die Idee von studio-klangraum - etwas anders zu beschreiben: "In meiner Haltung zu Musik (sie als klingendes Phänomen in der Umgebung zu verstehen) ist ein Umgebungsbewusstsein enthalten."
Übrigens: Dies alles kann man das in einem Online-Formular nicht ausführen - nach 300 Zeichen ist Schluss. Das ist die Tragik dieser Formulare.